51 Prozent der Kindergartenkinder sprechen zu Hause eine Fremdsprache â Nur sechs von 12 Brennpunktschulen sollen gefördert werden
Sprachliche Bildung gehört daher zu den Kernaufgaben der Kinderbetreuung. SprachpĂ€dagogen fördern die Auseinandersetzung der Kinder mit Sprache und Kommunikation. Diese Förderung erfolgt im Einzelsetting, in der Kleingruppe und als sogenannte alltagsintegrierte Förderung der Gesamtgruppe. Eine planvolle Sprachförderung findet in den Kinderbetreuungseinrichtungen ĂŒberall statt, sowohl beim Singen, Turnen, Basteln, Spielen und Experimentieren.
Seit fĂŒnf Jahren werden in Wels Kinder bereits ab drei Jahren in der deutschen Sprache in den KindergĂ€rten gezielt gefördert. Eine Evaluierung dieser Sprachförderung durch die PĂ€dagogische Hochschule Linz hat kĂŒrzlich den Erfolg bestĂ€tigt. Die Sprachkompetenz von Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache nimmt mithilfe der Sprachförderung in allen Bereichen â Satzbau, Wortschatz-Rezeption und Wortschatz-Produktion â signifikant zu.
Aktuell sind 40 SprachpĂ€dagogen in den stĂ€dtischen Kinderbetreuungseinrichtungen im Einsatz. Durch weitere MaĂnahmen soll die Sprachförderung zusĂ€tzlich verbessert werden:
So wird zukĂŒnftig in regelmĂ€Ăigen AbstĂ€nden ein QualitĂ€tszirkel mit allen Verantwortlichen stattfinden. Dabei sollen Erfahrungswerte abgeglichen, neue AnsĂ€tze diskutiert und Verbesserungen umgesetzt werden.
In Ausarbeitung ist zudem derzeit eine sogenannte Impulsmappe, die als gemeinsame Austauschplattform fungiert. Anhand eines vorgegebenen Stundenblattes werden Best Practice Beispiele fĂŒr unterschiedliche Angebote systematisch erhoben und dann fĂŒr eine Mappe kategorisiert und den PĂ€dagogen zur VerfĂŒgung gestellt. Ziel ist eine rasche Nutzung der unterschiedlichsten pĂ€dagogischen Impulse. Die PĂ€dagogen nutzen damit Synergien und können die besten Ideen rasch und mit wenig Aufwand anwenden.
Die SprachpĂ€dagogen halten zudem in regelmĂ€Ăigen AbstĂ€nden strukturierte EntwicklungsgesprĂ€che mit den Eltern ab, um auch hier das Bewusstsein fĂŒr die Notwendigkeit, die deutsche Sprache zu lernen, zu schĂ€rfen.
Die Corona-Pandemie hat aufgrund der fehlenden PrĂ€senzzeiten die Sprachdefizite noch weiter verschĂ€rft. Die Sprachförderinnen verzeichnen durchwegs RĂŒckschritte â sowohl den Wortschatz, den Satzbau als auch die Wortschatz-Rezeption betreffend.
Aufgrund dieser Entwicklung hat die Kinderbetreuung der Stadt Wels einen Optimierungskatalog fĂŒr die Sprachförderung erarbeitet. Im Vorfeld dieser Arbeiten wurde im Rahmen einer Umfrage erhoben, wie der sprachliche Umgang im privaten Umfeld ist.
Als Ergebnis der Umfrage wurde aufgeschlĂŒsselt, welche Sprache zu Hause und welche Sprache bei der Abholung der Kinder in den KindergĂ€rten gesprochen wird.
Zusammengefasst zeigt die Umfrage die Dringlichkeit, die Eltern in die Sprachförderung einzubinden, da der GroĂteil der Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache auch zu Hause kein oder nur wenig Deutsch spricht.
Die GrĂŒnde fĂŒr die fehlende Eltern-Beteiligung sind vor allem fehlende Deutschkenntnisse der Eltern und ein anderes ErziehungsverstĂ€ndnis resultierend aus den kulturellen HintergrĂŒnden. Die Problematik verschĂ€rft sich in jenen Familien, in denen die Eltern selbst die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben und Rechnen nur rudimentĂ€r oder gar nicht beherrschen. In diesen FĂ€llen brauchen die Kinder noch mehr UnterstĂŒtzung. In den EntwicklungsgesprĂ€chen berichten Eltern zudem oft von einem hohen Medienkonsum der Kinder, vorrangig in ihrer Muttersprache oder auf Englisch. Die Kinder sind oftmals in vielen FĂ€llen sich selbst ĂŒberlassen.
Ergebnisse der Umfrage
In den Kinderbetreuungseinrichtungen werden die Eltern dazu angehalten, beim Bringen und Abholen mit ihren Kindern Deutsch zu sprechen. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass jedoch nur ein Teil der Eltern dieser Empfehlung nachkommt. Der Grund dafĂŒr liegt darin, dass die Eltern, im Besonderen die MĂŒtter, nur wenig bis gar kein Deutsch sprechen.
Bei der Umfrage wurde auch die Religionszugehörigkeit aller Kinder (Krabbelstube und Kindergarten) in den stÀdtischen Kinderbetreuungseinrichtungen erhoben. Davon sind 27,29 Prozent römisch-katholisch, 49,59 Prozent muslimisch und der Rest teilt sich in evangelisch, freikirchlich, orthodox, ohne und sonstige Bekenntnisse auf.
Beispiele
- Im Kindergarten Neustadt sprechen rund 14 Prozent Deutsch und rund 86 Prozent eine Fremdsprache zu Hause. Bei der Abholung sprechen rund 23 Prozent Deutsch und rund 38 Prozent eine Fremdsprache bzw. rund 39 Prozent mischen Deutsch und die Fremdsprache.
- Im privaten Kindergarten St. Stephan sprechen rund 90 Prozent Deutsch und rund zehn Prozent eine Fremdsprache zu Hause. Bei der Abholung sprechen rund 90 Prozent Deutsch und rund drei Prozent eine Fremdsprache bzw. rund sieben Prozent mischen Deutsch und die Fremdsprache.
- Im Kindergarten Laahen, mit der niedrigsten Quote an Kindern mit Sprachförderbedarf sprechen 59 Prozent Deutsch, rund 21 Prozent eine Fremdsprache und rund 20 Prozent Deutsch und eine Fremdsprache zu Hause. Bei der Abholung sprechen rund 77 Prozent Deutsch und rund 18 Prozent eine Fremdsprache bzw. rund fĂŒnf Prozent mischen Deutsch und die Fremdsprache.
- Im Kindergarten SiebenbĂŒrgerstraĂe sprechen 18 Prozent Deutsch, rund 74 Prozent eine Fremdsprache und acht Prozent Deutsch und eine Fremdsprache zu Hause. Bei der Abholung sprechen rund 24 Prozent Deutsch und rund 43 Prozent eine Fremdsprache bzw. rund 33 Prozent mischen Deutsch und die Fremdsprache.
MaĂnahmen zur Einbindung der Eltern
In den stÀdtischen KindergÀrten werden insgesamt 1.334 Kinder betreut. Davon haben 72 Prozent Sprachförderbedarf in der deutschen Sprache. Insgesamt sind rund 42 Muttersprachen in den Kinderbetreuungseinrichtungen vertreten.
In den KindergĂ€rten und Krabbelstuben haben 37 Prozent als Muttersprache Deutsch, 19,4 Prozent Serbokroatisch, 13 Prozent Albanisch, elf Prozent TĂŒrkisch und 3,3 Prozent RumĂ€nisch.
Besonders interessant ist das Ergebnis, wenn man es in einen Kontext zu den Erhebungen im Rahmen der Sprachförderung bringt. Dabei zeigt sich nĂ€mlich, dass der Sprachförderbedarf vom Anteil der Kinder mit Fremdsprache unabhĂ€ngig ist. So haben zwar nur elf Prozent der Kinder als Muttersprache tĂŒrkisch, der Anteil jener tĂŒrkisch-sprechenden Kinder, die eine Sprachförderung bekommen liegt allerdings bei 22,9 Prozent.
So haben 23,2 Prozent der geförderten Kinder als Muttersprache Albanisch, 22,9 Prozent TĂŒrkisch, 11,1 Prozent Bosnisch und 8,8 Prozent Deutsch. Die restlichen Prozent verteilen sich auf RumĂ€nisch, Arabisch, Kroatisch, Serbisch, Kurdisch, Ungarisch und sonstige Sprachen.
In den vergangenen Jahren fanden bereits Workshops im Rahmen des Projektes AMIF (Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds) fĂŒr die Eltern statt. Die Teilnahme war freiwillig. Die aufwendig vorbereiteten Workshops wurden allerdings kaum bis gar nicht besucht. Die Erkenntnis daraus ist, dass freiwillige Anreize fĂŒr die Eltern wenig bis gar nicht angenommen werden.
MaĂnahmen & Angebote
- Förderung der Sprachförderung ab Eintritt in den Kindergarten
Aktuell werden rund 72 Prozent der Kindergartenkinder sprachgefördert. FĂŒr die Kinder ab vier Jahren erhĂ€lt die Stadt Wels eine finanzielle Förderung nach §15aBV (69,8 Prozent), fĂŒr die dreijĂ€hrigen Kinder wird die Sprachförderung zur GĂ€nze aus Eigenmitteln der Stadt Wels finanziert. Die jĂ€hrlichen Lohnkosten in der Sprachförderung betragen rund 860.000 Euro. Der Förderbetrag des Landes belĂ€uft sich auf 480.000 Euro, der Rest von 380.000 Euro wird von der Stadt getragen. Aus Sicht der Stadt Wels wĂ€re es hoch an der Zeit, dass das Land die Sprachförderung finanziell fĂŒr alle Kinder ab Eintritt in den Kindergarten unterstĂŒtzt.
- Einbindung der Kulturvereine
Um die Eltern ins Boot zu holen, braucht es oft sehr viel Ăberzeugungsarbeit. Aus diesem Grund werden kĂŒnftig die Kulturvereine kontaktiert, mit der Bitte um UnterstĂŒtzung. Eine Sensibilisierung der Eltern kann aus den eigenen Reihen oft besser gelingen.
Am Samstag, 22. Juni findet im Stadttheater Greif ein Austauschtreffen (Sprachfördergipfel) mit den Kulturvereinen, Eltern und SprachförderpĂ€dagogen statt. Dazu konnte Aleksandra Jaramaz als Referentin zum Thema âKultursensible Sprachförderungâ gewonnen werden. Sie arbeitet in der pĂ€dagogischen Hochschule in der Diözese Linz am Institut fĂŒr Forschung und Entwicklung und hat selbst Migrationshintergrund.
Inhaltlich sind folgende Themen geplant:
-) Probleme und Herausforderungen der Familien beim Schuleintritt
-) Bildungs- und ErziehungsverstÀndnis unterschiedlicher Kulturkreise
-) Erwartungen an Schule und Kindergarten
-) Wie kann die Kommunikation gefördert werden
Der Vortrag richtet sich an alle Kulturvereine, Eltern, Sprachförderinnen und Interessierte.
- Verpflichtendes zweites Kindergartenjahr
Ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr kommt vor allem jenen Kindern zugute, die Deutsch nicht als Muttersprache haben und nur ein Jahr in eine Betreuung gehen wĂŒrden. Experten sind sich einig, dass das Erlernen einer Zweitsprache nicht frĂŒh genug beginnen kann. Mit einem zweiten verpflichtenden Jahr wĂ€re gewĂ€hrleistet, wirklich alle Kinder, die eine Sprachförderung benötigen, in Deutsch zu fördern.
- Wochenendbox
Mit der Wochenendbox soll die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern gefördert werden. Im Vordergrund steht dabei die gemeinsame Zeit. Der Inhalt der Box soll es den Eltern so leicht wie möglich machen, ihre Kinder zu unterstĂŒtzen. Die Box beinhaltet neben einfachem Spiel- und BeschĂ€ftigungsmaterial auch Gedichte, Fingerspiele, Lieder, Memorykarten und ein selbstgewĂ€hltes Bilderbuch. Die Box wird passend zum Wissensstand der Kinder gefĂŒllt. Ziel ist es, dass die Kinder nach dem Kindergarten gut gerĂŒstet in die Volksschulen starten können. Nur wenn sie die deutsche Sprache beherrschen, können sie auch dem Unterricht folgen.
Nur Sechs Brennpunktschulen fĂŒr Wels
Bundesminister Heinz FaĂmann hat im Jahr 2020 die Umsetzung des Projektes â100 Brennpunktschulenâ zugesagt. Wesentlicher Inhalt des Projekts sollte die UnterstĂŒtzung von Schulen sein, die von einem wesentlich erhöhten Anteil an Kindern mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen besucht werden.
In Wels haben nach einer Studie der Arbeiterkammer 81,9 Prozent der Volksschulen SchĂŒler mit einem sehr hohen Förderbedarf. Das ist mit Abstand der höchste Prozentsatz in ganz Ăsterreich. Bei neun von elf Welser Volksschulen liegt der Anteil von SchĂŒlern mit nicht-deutsch Muttersprache zwischen 60 und fast 80 Prozent. Bei den sechs Mittelschulen ist der Anteil sogar noch höher, dort liegt er bei allen Schulen, auĂer in einer, bei ĂŒber 80 Prozent.
Aus diesem Grund hat die Stadt Wels bereits am 1. September 2020 einen Brief an Bundesminister FaĂmann geschrieben, und um Aufnahme der Welser Schulen in das Förderprogramm â100 Brennpunktschulenâ ersucht. Ohne zusĂ€tzliche Ressourcen kann die Stadt Wels dieser alarmierenden Entwicklung im Integrationsbereich nichts entgegensetzen. Das Problem, dass die SchĂŒler auch in der Schule vermehrt ihre Erstsprache sprechen und innerhalb derselben Migrantengruppe bleiben, wird sich noch weiter verschĂ€rfen, da der soziale Austausch mit anderen MitschĂŒlern immer schwieriger wird.
Zwischenzeitig wurde das Förderprogramm in â100 Schulen â 1.000 Chancenâ umbenannt. 100 Volks- und Mittelschulen sollten nach den Kriterien Alltagssprache der SchĂŒler, Bildungshintergrund und soziökonomische Faktoren des Elternhauses ausgewĂ€hlt werden.
Aus Sicht der Stadt Wels mĂŒssten auf Basis der vorhandenen Daten fĂŒnf von sechs Mittelschulen und neun von elf Volksschulen â insgesamt daher 14 Schulen â in das neue Förderprogramm aufgenommen werden. Damit stĂŒnden zusĂ€tzliche Ressourcen fĂŒr LehrkrĂ€fte, FortbildungsmaĂnahmen usw. zur VerfĂŒgung.
Nach den derzeitigen Informationen sollen aber nur sechs Welser Schulen in das neue Förderprogramm miteinbezogen werden. Damit wird die Ausnahmesituation in Wels im Zusammenhang mit Sprach- und Integrationsproblemen keineswegs ausreichend berĂŒcksichtigt.
Aus diesem Grund erging erneut ein eindringlicher Appell an das Bundesministerium, diese Entscheidung nochmals zu ĂŒberdenken.
Zitate
BĂŒrgermeister Dr. Andreas Rabl: âAufgrund der Sprachdefizite haben viele Kinder in Wels keine Möglichkeit, am gesellschaftlichen, schulischen oder beruflichen Leben teilzunehmen. Im Kindergarten sind wir auf einem guten Weg. Wir brauchen gerade in den Schulen mehr Ressourcen fĂŒr die Sprachförderung, sonst hat eine ganze Generation keine Zukunft. Deutsch ist Pflicht und Verpflichtung â das gilt auch fĂŒr die Erziehungsarbeit der Eltern.â
Generationen-StadtrĂ€tin Margarete Josseck-Herdt: âBereits im Kindergarten wird ein wesentlicher Grundstein fĂŒr einen erfolgreichen Einstieg in das Schulsystem gelegt. Unsere kreativen Sprachförderinnen scheuen keine Anstrengungen, um auch die Eltern zu erreichen, damit jedes Kind die Chance hat, in der Volksschule dem Unterreicht folgen zu können.â